Für so leicht autistisch angehauchte Menschen wie mich, ist Spotify gar nichts. In meiner Kindheit habe ich meine Märchenschallplatten immer nach Farbe sortiert. Später nach dem Alphabet. Dann doch wieder nach Farbe. Es war eine Zwickmühle. Ich kannte jede Platte in- und auswendig und wusste genau, wann der erste Kratzer kam. Bei Rotkäppchen sprang die Platte immer kurz bevor der Wolf das Mädchen fraß. Bei Hans im Glück zog sich der Kratzer dann über die gesamte LP. Dann kam das Zeitalter der Kassette. War war man doch für ein Held, wenn man mal bei der HR3 Hitparade ein Stück bis zum Ende mitschneiden konnte. Doch ausgerechnet bei Infinity von Guru Josh musste ein Geisterfahrer das Ganze wieder zerstören. In der Schule wurde fleißig getauscht und überspielt und nach dem zehnten Kopieren der HR3 Clubnight mit Sven Väth blieb mehr Rauschen als Musik übrig.
In meiner Pubertät entdeckte ich das Auflegen für mich. Euphorisiert fuhr ich mit meinen Kumpels Leibi und Stadi einmal im Monat nach Erfurt, um die neuesten Releases zu erhaschen. Da stand die neuste Dave Clake Platte schon einem Orgasmus gleich. “Haste schon den neusten Mix von Stadi auf Kassette?”, war der Gassenhauer unserer Zeit. Man kam auch so einmal mit den unerreichbaren Mädchen ins Gespräch, die einen liebäugelnd eine leere TDK Kassette in die Hand drückten. “Überspielst du mir auch mal einen Mix von dir?” Meine Platten thronten immer auf einem gelb gestrichenen Regal neben zwei Plattenspielern in meinen doch recht bunt eingerichteten Jugendzimmer. Jede besaß eine Schutzhülle und eine eigene Geschichte. Platten wurden grundsätzlich nicht verliehen, außer an Leibi oder Stadi. Das war klar. Es gab dann alle halbe Jahre mal eine Party im stillgelegten Freibad, dann stand man mit seinen Freunden auf der Tanzfläche, schloss die Augen und wusste schon bei der ersten Rille, welcher Song jetzt kam.
Ja, so eine Platte hat schon etwas Faszinierendes. Diesen Geruch von Vinyl, wenn man zum ersten Mal eine Platte aus der Hülle holt, den liebe ich noch heute.
Mit der Erfindung der Minidisk und später der CD war der ganze Charme vorbei. Es war irgendwie ein anderes Gefühl, diesen kleinen Silberling in den Player zu legen und es klang irgendwie schei***e 🙂 Sogar mein Opa beschwerte sich nicht mehr über das Wummern, als ich eine CD einlegte.
Heute pfeifen die Songs aus einem iPhone Lautsprecher in mp3 Qualität. Künstler bringen mittlerweile jedes Jahr ein neues Album heraus und jede Woche kann man sich 500 Neuerscheinungen runter laden. Ich frage mich immer wieder, welchen Wert so ein Album noch hat, das man in zehn Sekunden auf der Festplatte hat, um es nach einmaligen Hören wieder zu vergessen. Gelangweilt klickt man sich durch das reichhaltige Angebot, um dann festzustellen, dass man doch wieder nur dasselbe hört.
Für mich hat sich die Beziehung zur Musik erst wieder geändert, als mich Matthias auf den Trichter brachte, mein neues Album auf Platte zu veröffentlichen. Erst kam mir dieser Gedanke utopisch vor, dann freundete ich mich immer mehr damit an. Zuvor besorgte ich mir einen neuen Plattenspieler und beschloss mit meiner Frau, jeden Monat eine Platte zu kaufen. Diese wird dann sorgfältig ausgepackt, der Vinylgeruch wird inhaliert und gemeinsam bei einem Kaffee oder Tee immer wieder genussvoll angehört.
Um meine Frage zu beantworten, welchen Wert Musik noch hat – das bleibt jedem selbst überlassen. Es ist wie mit so vielen Dingen im Leben, mit dem Essen, mit der Kleidung und auch mit der Musik. Vielleicht sollte man es einfach mal wieder reduzieren. Ich sehne mich nach dem Tag, wenn ich mein eigenes Album auf meinen Plattenspieler lege, die Augen schließe und die ersten Töne genieße.
Sven Tasch – Musiker | Autor
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